Landschaft ist en vogue. Vor ein paar Monaten erst wurde die Landschaftsarchitektin
Andrea Gebhard zur Präsidentin der
Bundesarchitektenkammer gewählt. Gestern Abend nun
erhielt sie den renommierten
Architekturpreis der Stadt München. Ich war in der Jury – und kann berichten: Ausschlaggebend war, neben der unbestreitbar hohen Qualität der Arbeit des Büros
Mahl Gebhard Konzepte, auch die gestiegene Bedeutung der Disziplin Landschaftsarchitektur insgesamt. Und das hat aus meiner Sicht auch etwas mit Corona zu tun. Denn durch die Pandemie haben wir nicht nur verstanden, wie wichtig Stadtraum für unsere Kultur ist. Wir haben auch gemerkt, wie
gute und integrativ gestaltete Außenräume gerade in schwierigen Zeiten so etwas wie gesellschaftlichen Halt, wie sie räumliche Identität schaffen können. Und da nun Welle vier über uns hinweg spült, könnte es sein, dass politische Maßnahmen uns noch einmal zur innerräumlichen Kontaktbeschränkung auffordern – und uns damit im Winter an die Plätze unserer Städte treiben. Schön da, wenn diese uns räumliches Beschäftigungspotenzial bieten, wenn sie also keine neutralen Raumszenerien darstellen.
Um solche Räume zu schaffen, kommt es darauf an, ganz genau die Ankerpunkte des jeweiligen städtischen Kontextes zu lesen und mit diesen zu arbeiten.
Und es kommt darauf an, „intelligent mit unterschiedlichen Dimensionen zu arbeiten, vom ganz Großen bis zum Kleinen, ortsbezogenen“, wie Münchens Stadtbaudirektorin Elisabeth Merk gestern in ihrer Laudatio formulierte.
Genau dafür steht das Büro Mahl Gebhard. Ein Beispiel aus dem Münchner Kontext: Der Landschaftspark Baumkirchen Mitte. Auf dem 15 Hektar großen Gelände eines ehemaligen Bahnbetriebswerkes im Viertel Berg am Laim entstand seit 2013 ein neues Stadtquartier inklusive Park. Fast 70 Jahre lang wurden hier Lokomotiven und Güterwaggons rangiert und repariert. Mahl Gebhard haben das Freiraum-Areal neu gedacht und in durchaus rougher Weise neu zum Leben erweckt. Die Idee: Die Brache und die dort in die Erde eingewachsenen Industrierelikte nicht als Teil des Problems, sondern als Teil der Lösung betrachten.
Die vorgefundene, verwucherte Landschaft wird als Chance gesehen – und der Wucherungsprozess nicht unterbrochen. Das Bahnbetriebswerk hatte sich nach der Stilllegung nämlich zu einer naturnahen Brache entwickelt, zu einer Art „hot spot“ der Biodiversität. Außerdem hat das industriell-Ruinöse auch Identität stiftenden Charakter. Den haben Andrea Gebhard und ihre Kollegen herausgearbeitet. Auf höher gelegten Stegen können Besucher quasi über die verwachsenen Relikte der Industriekultur schweben.
Wobei nicht verhohlen werden soll, dass sich in dem Park durchaus auch fragwürdige Aktivitäten abspielen. Man findet schon die eine oder andere Schnapsflasche. Aber vielleicht ist dieses Stück Heterogenität einfach etwas, das man als Stadt auch mal aushalten muss. Fest steht jedenfalls: Es ist gut, dass Landschaftsarchitektur mehr in den Fokus der Stadtgestaltung gerät. Hoffentlich hält dieser Trend auch nach Corona an. guz