Man hätte es kommen sehen können. Die vielen Unter-30-Jährigen, die über Jahre hinweg in die Städte gezogen sind, werden nicht immer Unter-30-Jährige bleiben. Sie werden älter, unterschreiben vielleicht doch mal einen regulären Arbeitsvertrag und gründen Familien.
Bundesweit ist die Zahl der großen Haushalte
mit drei und mehr Personen seit 2010 mit 6,6 Prozent stärker gestiegen ist als die Zahl kleinerer Haushalte (plus 3,1 Prozent), wie aus dem Anfang der Woche veröffentlichten
Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft hervorgeht.
Während aber der Anstieg im Neubau sich ausschließlich auf kleinere Geschosswohnungen konzentrierte, blieb die Zahl der neuen familientauglichen Wohnungen überschaubar. Die Folgen in den Städten sind drastisch. Mehr als 40 Prozent aller einkommensschwachen Vier-Personen-Mieterhaushalte in Großstädten wohnen beengt auf unter 80 Quadratmeter, fast 20 Prozent sogar auf unter 65 Quadratmeter. Das Marktforschungsunternehmen Empirica beobachtet deshalb nach eigenen Angaben einen langen Familien-Treck, der sich aus den Städten davonmacht.
„Derart beengte Wohnverhältnisse sind – nicht nur in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling – sozial- und wohnungspolitisch inakzeptabel. Den Städten ist dringend anzuraten, zumindest ihre wohnungspolitischen Strategien zu überprüfen und Familien einen sehr viel größeren Stellenwert einräumen. Weder können es die Städte hinnehmen, dass die Familien die Städte verlassen, noch, dass die verbleibenden Familien derart beengt wohnen.“
Harald Simons, Wohnungsmarkt- und Demografie-Experte bei Empricia
Beim diesjährigen
Wohnungsbau-Tag der Immobilienbranche hörte man unter anderem deshalb ungewohnt selbstkritische Töne. "Es ist beschämend”, sagte beispielsweise
Dietmar Walberg, Leiter des Kieler Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts
ARGE.
Dabei haben Projektentwickler jahrelang auf angeblich schrumpfende Flächenansprüche hingebaut: Bei Bonava etwa ist eine neu gebaute Wohnung heute im Durchschnitt 66 bis 68 Quadratmeter groß, vor wenigen Jahren waren es noch 75. Man begründete das mit der wachsenden Zahl an Singlehaushalten, hinter vorgehaltener Hand auch mit steigenden Material- und Baulandpreisen. Und nicht einmal hinter vorgehaltener Hand möchte man zugeben, dass kleinere Wohnungen natürlich auch mehr Marge bringen.
Wer den einen oder anderen Besichtigungstermin bei Neubauprojekten von kommunalen oder landeseigenen Gesellschaften in urbanen Lagen mitgemacht hat, weiß allerdings, dass auch die nicht-privatwirtschaftlich orientierten Anbieter größtenteils kleinteilig bauen. Wenn Bürgermeister und Stadträte nicht gegensteuern, sind Städte bald nur noch ein Ort für Singles. fab