Die Podiumsdiskussion sollte Perspektiven aufzeigen: Wie können urbane Zentren aussehen, wenn die Pandemie nicht mehr den Alltag beherrscht? Soll die City wieder so werden, wie sie mal war? Oder müsste man vernünftigere Funktionen finden? Ein Planungsthema mit viel Platz für Ideen und Kreativität also – eigentlich. Doch meist, kritisierte Nagel, werde „dystopisch, aber nicht utopisch“ gedacht. Will heißen: Alle sehen die zugeklebten Scheiben vor sich, aber nicht die Alternativen dazu.
Dass es kein Universalrezept für vitale Zentren gibt, leuchtet ein; dazu sind die Ausgangslagen der Städte zu divers. Drei Schlüsselzutaten destillierten sich in der Diskussion dennoch heraus. Erstens: Das Hauptproblem der Fußgängerzonen sind – die Zonen. Denn Monostrukturen aus Einzelhandel, Dienstleistungen und Gastro tun Städten auf Dauer nicht gut. Christoph Mäckler, Direktor des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst, resümierte es so: „In vielen Städten fehlt nur das Glasdach drüber, dann hätten wir eine Shopping Mall.“
Der Fehler liegt im System: Innenstädte gelten als Kerngebiete, in denen Wohnen nur ausnahmsweise zulässig ist. Das folge dem amerikanischen Vorbild der Central Business Districts; nicht aber dem Profil der Europäischen Stadt, das traditionell Wohnen, Arbeiten und Freizeit im selben Block oder sogar Gebäude vereint. „Damit haben wir uns selbst ein Bein gestellt“, sagte Nagel. Wer durchmischte Cities haben wolle, müsse daher die Ausnahmemöglichkeiten nutzen – und auf lange Sicht das Planungsrecht grunderneuern.
Zweitens: Um Menschen in die Innenstadt zu locken, muss man ihnen mehr bieten als schicke Geschäfte. Das fängt bei den Freiflächen an, erläuterte Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer: Parks und Plätze für die Öffentlichkeit, aber ebenso grüne Höfe und Dachterrassen für die Anwohner – damit die es dort auch noch im Hochsommer aushalten.
Doch auch bei der Bausubstanz gibt es viel Verbesserungsbedarf. In Mäcklers Worten: Wer Nutzungsmischung will, benötigt „Haustypen, die dazu fähig sind“. Vorbild sind für ihn etwa die großstädtischen Gewerbehöfe, die sich über Tore von der Straße aus betreten lassen und noch immer „perfekt funktionieren“ – zum Beispiel für die Ansiedlung von Gründerfirmen.
Bis hierhin konnte man sich die Fußgängerzonen-Utopie in bunten Farben ausmalen. Einen Stich erhielt das Ganze allerdings, als die Runde drittens darüber diskutierte, wie sich diese Vision sozialverträglich realisieren lässt. Die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk führte an, dass ein Zentrum immer „Angebote für alle“ brauche – von teuer bis günstig. Und Nagel zitierte aus einer Umfrage, wonach die Mehrheit der Befragten in der Post-Corona-City gemeinwohlorientierte Nutzungen am wichtigsten einschätzte: Kultur, Bildung und Soziales.
Man muss keine Ökonomin sein, um sich zu fragen, wie sich das alles finanziell tragen soll. Zumal der wahre „Frequenzbringer“ laut Nagel immer noch der Handel ist – und Verschönerungen Merk zufolge die Quadratmeterpreise rasant steigen lassen. Ihre Lösungsvorschläge lauteten: höhere Besteuerungen des Online-Handels und Umverteilung zugunsten Gewerbetreibender in den Citys; Kooperationen zwischen etablierten Häusern und kleineren Akteuren – und eine Bodenrechtsreform, um Spekulationen und exorbitanten Pachten Einhalt zu gebieten.
Die Grundsatzdiskussionen, die Deutschland gerade zum Thema Wohnen erlebt, dürften also bald genauso über innerstädtische Flächen geführt werden. Denn gerade auch in der Fußgängerzone geht es um bezahlbare Räume, Teilhabe – oder mit dem Soziologen Henri Lefebvre gesagt: um das „Recht auf Stadt“. cél