Clubs und Cafés sind zu, die Menschen laufen mit FFP2-Masken verloren durch die Innenstädte. Corona beutelt Downtown. Was bedeuten die Dauerlockdowns für die Psychologie der Stadt? Wir sprachen mit Dr. Cornelia Ehmayer-Rosinak die in Wien das Beratungsunternehmen „STADTpsychologie“ betreibt.
Frau Ehmayer-Rosinak, Sie sitzen in Wien. Wie stark ist die Stadt Wien von Corona gebeutelt?
Nicht stärker als andere Städte. Man hat hier aber den Eindruck, die Bundesregierung würde gegen das „rote Wien“ ankämpfen. Als wenn die Stadt per se ein Treiber von Corona wäre.
Eine Wahrnehmung, die womöglich daher rührt, dass Städte immer auch etwas „Widerständiges“ haben. Und dies ist auch in ihrer kollektiven Psychologie verankert. Genau deshalb sprechen wir. Gibt es denn überhaupt so etwas wie eine „Psychologie der Stadt“?
Definitiv. Ich empfehle zur Lektüre das
Buch „Stadtpsychologie“, herausgegeben von Andreas Jüttemann. In der Psychologie der Stadt kommen die Disziplinen Architekturpsychologie, Umweltpsychologie und Gemeindepsychologie zusammen. Man kann Städte eben nicht nur über Bauwerke verstehen, sondern muss die Menschen als Stadtwesen mit einbeziehen. Und es gibt auch eine eigene wissenschaftliche Methodik: die „Aktivierende Stadtdiagnose“. Diese erforscht, was Städte resilient und gegen Krisen gerüstet macht. Diese Diagnose legt Städte quasi auf die Couch.
Dann legen wir mal. Was bedeutet der fortgesetzte Lockdown für die Psychologie unserer Städte?
Die Stadt als rein architektonisches Wesen ist von Corona ja erst mal nicht betroffen. Die Gebäude stehen herum wie vorher. Plätze in Berlin oder Wien sind leer, die klassischen Konsumtempel geschlossen. Das Potenzial der architektonischen Schönheit unserer Städte kann sich, wenn man so will, sogar ungehinderter entfalten. Immens sind hingegen natürlich die psychologischen Auswirkungen von Lockdowns für die Menschen. Sie können ihren normalen Handlungen im Stadtraum nicht nachkommen. Das bedeutet eine starke psychologische Irritation.
Die Wissenschaftsjournalistin Céline Lauer hat in der
Welt darauf hingewiesen, wie wichtig die soziale Interaktion auch mit fremden Menschen für unser seelisches Wohlergehen ist. Traumatisiert Corona also den Stadtmenschen?
Einerseits. Andererseits aber ist die Stadt auch die Lösung. Menschen bewegen sich in Zeiten des Lockdowns im konsumbefreiten öffentlichen Raum, um Trost und Halt zu suchen. Die Stadt zeigt genau jetzt ihr Potenzial. Hier hilft es, wenn eine Stadt, wie Wien, über viel Grünflächen und funktionierende öffentliche Räume verfügt. Wir beobachten momentan, wie intensiv Menschen sich auf Stadtwanderwegen im öffentlichen Raum bewegen. Dieses Verhalten bietet wertvolle Anhaltspunkte auch für die künftige Stadtplanung. Die Stadtplanung ist ja schon in den vergangenen Jahren immer demokratischer geworden. Der Lockdown unterstützt dies und wertet den öffentlicher Raum auf.
Vieles von dem, was für uns normalerweise die Stadt ausmacht, dürfen wir momentan nicht. Glauben Sie, dass diese veränderte, man könnte auch sagen weniger intensive Nutzung der Stadt dauerhaft sein wird?
Nein. In der Psychologie unterscheiden wir zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation zu einem bestimmten Verhalten. Unser momentanes Verhalten ist extrinsisch, also durch äußeren Zwang motiviert. Wir wissen aus der Verhaltenswissenschaft, dass Menschen ein nur extrinsisch erzeugtes Verhalten aufgeben, sobald der Zwang wegfällt. Also: Wir werden wieder so leben wie bisher, vielleicht sogar intensiver.
Wie verändert Corona unsere Städte längerfristig? Gibt es etwa Learnings für die Stadtplanung?
Politiker, aber auch Investoren erfahren momentan, wie wichtig öffentliche Räume sind. Ich selbst war in Wien am Masterplan für die Nutzung des Donaukanals beteiligt. Hier haben wir vieles richtig gemacht, was heute zum Common Sense wird. Es geht darum, nicht jeden flecken Stadt für den Konsum freizugeben. So entstehen egalitäre Zonen, zu denen alle gleichermaßen Zugang haben.
Verstehen auch Projektentwickler diese Denkweise?
Zunehmend. Sie sehen auch, dass es wirtschaftlich nicht nachhaltig ist, wenn Städte die Menschen krank machen. Und übrigens entwickeln die Menschen selber auch gerade ein klareres Verständnis für das, was ihnen in der Stadt gut tut. Die Menschen bewegen sich heute viel mehr als vor der Krise. Sie spüren, dass sie sich bewegen müssen. Außerdem haben wir heute ein distanziertes Verhältnis zu Innenräumen, weil diese eben auch die Räume sind, die potenziell krank machen.
Sie selbst sehen ja die Konsumzentrierung der Stadt kritisch. Wird diese dauerhaft zurückgehen?
Ach da bin ich skeptisch. Die Menschen konsumieren nun mal gern. Ich erwarte sogar einen Rebound-Effekt mit Hyperaktivität in Sachen Konsum.
Eine These lautet ja, Corona führe zu einem Run raus aus der Stadt. Sehen Sie diesen Trend?
Nein. Richtig ist, dass 44 Prozent alles Deutschen laut einer aktuellen Studie vom Landleben träumen, obwohl 77 Prozent heute in der Stadt leben. Es gibt diese Sehnsucht nach grün. Aber ich halte das eher für einen Flirt.
Das Versprechen des Stadtraumes als Freiheitsraum funktioniert also noch?
Ja, „Stadtluft macht frei“ gilt weiterhin.