In Prä-Corona-Zeiten galt der „Man müsste…verbieten“-Satz als Hymne der Kleingeister. Das hat sich geändert. Verbieten ist das neue sexy. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht eine neue „man könnte wirklich…verbieten“-Sau durchs mediale Dorf gehetzt wird.
Letzte Woche war das gute alte Einfamilienhaus dran. Diese Bauform, die smarten Großstädtern schon immer als kulturelle und klimatische Todsünde galt. Anton Hofreiter sprach manchen aus der Seele, als er
über ein Verbot nachdachte. Und die Argumente liegen ja auf der Hand, wie auch im Text oben zu lesen ist. „EFS“, wie Kritiker die Dinger leicht ekelerregt nennen, sind klimatechnisch problematisch und versiegeln je Einwohner mehr Fläche als Geschosswohnungsbau.
Aber gleich verbieten? Das passt zwar in die Zeit des Durchregierens, erscheint mir aber doch etwas drakonisch. Lassen Sie mich daher mal eine kleine kulturelle Verteidigung des geschundenen Bautypus EFH versuchen.
Zunächst: Architektur ist schon auch die Kristallisation gesellschaftlicher und individueller Wunschvorstellungen. Und in denen ist das EFH immer noch populär. In ihm spiegelt sich der, ja, natürlich kleinbürgerliche Traum von räumlicher Autarkie, von Gestaltbarkeit des eigenen Daseins, geschützt vor den Blicken anderer. Das mag zwar gelegentlich zu kulturell oder ästhetisch fragwürdigen Lebensmustern führen. In der Entfaltbarkeit dieser Lebensmuster liegt aber zugleich auch etwas Tröstendes. Jeder darf mal ein wenig Sandburgenbauer im eigenen Leben spielen. Ist doch irgendwie auch sympathisch.
Was nicht bedeutet, dass man sich mit der Art, wie die adretten Kisten genutzt werden, nicht auch grundsätzlich auseinandersetzen kann. Hier ist – natürlich – auch die Kritik an allzu normierten Lebensläufen sinnvoll. Die Krux liegt schon im Wording: Wir sprechen nicht von Villa oder Ähnlichem, sondern von „Ein – Familien – Haus“.
Wer sagt eigentlich, dass in einem Haus immer genau eine Familie leben muss? Die Autorinnen Julia Lindenthal und Gabriele Mraz
schlagen in einem Essay das offenere Alternativkonzept „Mehrpersonenhaus“ vor.
Interessant: Ihr Text wurde in der “Zeitschrift für Kulturwissenschaften” veröffentlicht. Die widmete den städtebaulichen Sauriern im Jahr 2017
ein ganzes Heft.
Raumplanerisch bietet der flache Bau die Chance für mehr Rhythmus. Flach versus hoch – das ist eben nicht nur eine produktive Dualität, die einzelne Bürobaukomplexe treibt, etwa Oscar Niemeyers Kongressgebäude in Brasilia oder die New Yorker UNO-Zentrale. Es ist auch der Modus Co-Operandi, der die Interaktion von Stadt und Vorstadt auszeichnet. Höher gebaute Innenstädte schälen sich quasi aus den flacheren Gebieten um sie herum heraus. Ohne das flachere Gegenstück wäre Downtown nicht Downtown.
Und dann ist da noch die Kritik. Für sie stellt das EFH ein Lieblingsobjekt dar. Es würde der kritischen Kulturbetrachtung etwas fehlen, lebten wir alle brav in Vier- bis Sechsgeschossern. Der Soziologe Felix Keller
verwies kürzlich darauf, dass das Einfamilienhaus geradezu ein „Fetisch der Kritik“ sei:
„Es steht greifbar und sichtbar in der Landschaft und wirkt wie ein Monument einer bestimmten Lebensform.“
Die kritische Auseinandersetzung mit dieser Lebensform wird durch deren räumliche Konkretisierung erst möglich.
Und dann sollten wir auch mal an “die jungen Leute” denken. Wie befreiend war doch für heutige urbane Propagandisten eines aufgeklärt woken Lebensstils das Gefühl, endlich aus dem abgelehnten EFH der spießigen Eltern raus zu können. Wollen wir nachfolgenden Generationen dieses Emanzipationsmoment wirklich nehmen?
Sie merken, meine Überlegungen sind von einer gewissen sympathisierenden Ambivalenz geprägt. Denn der Inbegriff urbaner Fortentwicklung ist das EFH natürlich nicht. Das behauptet aber auch keiner. Ich selbst saß als Baumeister-Chefredakteur in der Jury für den Wettbewerb
„Häuser des Jahres“. Dort habe ich erlebt, wie gespalten die architektonische Intelligenzija in Sachen Einzelhaus war und ist. Auf begleitenden Podiumsdebatten ging es immer schnell um die Frage, ob man sowas überhaupt „bauen darf“. Zerknirschte Selbsthinterfragung als Prinzip der Branche. Der Award selbst aber ist unter den Architekten bis heute populär.
Und vergessen wir nicht: Auch Großmeister wie Ludwig Mies van der Rohe oder Philip Johnson haben mal mit singulären Familienbehausungen angefangen. Einige von denen sind heute Ikonen. guz