Schlagwörter gehören zur Stadtentwicklung wie Schlagsahne zur Schwarzwälder Kirschtorte. Man denke an Nutzungsmischung, Bürgerbeteiligung, klimagerechte Stadt – oder auch, sehr beliebt seit Corona: Pop-Up-Radwege. Als aktueller Favorit fällt aber ein Begriff auf, der gleichermaßen wissenschaftsbasiert, wirklichkeitsnah und vage anmutet: Die Rede ist vom „Reallabor“.
Besonders fasziniert an dem Format, dass die Beteiligten aller Bereiche sich offenbar darauf einigen können; sei es aus den Verwaltungen, dem Städtebau oder der Wirtschaft. In der
Nationalen imakomm-Studie „Zukunftsfeste Innenstädte“ nannten 71 Prozent der 747 befragten Standorte das „Reallabor“ als geeignetes Vorgehen, um neue Instrumente und Formen des Arbeitens und Wohnen für lebendige Citys auszuprobieren.
Die
Bundesstiftung Baukultur wirbt für öffentliche Räume „als Reallabore für gesellschaftliche Entwicklungen (…), in denen Experimente möglich sein müssen“. Und im vergangenen Herbst hat das Bundeswirtschaftsministerium mit dem
Institut für Handelsforschung (IFH) Köln ein Projekt in 14 Modellstädten gestartet, um ein „zukunftsorientiertes Ansiedlungsmanagement“ zu erproben. Der Name lautet, Sie ahnen es vermutlich schon: „
Stadtlabore für Deutschland“.
Mehr Lebendigkeit, Vielfalt, Austausch, Teilhabe – und zwar nicht auf dem Papier, sondern in den Straßen. Das klingt, als könne die Laborisierung der Innenstädte gar nicht schnell genug vorangehen. Sollte etwa endlich die urbane Allzweckwaffe gefunden worden sein? Sind Reallabore das Format, mit dem sich tatsächlich bessere bis gute Städte planen lassen? Oder doch nur eine schicke Worthülse für „Probieren wir einfach irgendwas aus“?
Es lohnt sich, dieser Frage dorthin nachzugehen, wo der Begriff eigentlich herstammt: in die Wissenschaft. Denn Forscher aus stadtnahen Disziplinen schauen sich die Reallabore schon seit einiger Zeit an; mit durchaus gemischten Gefühlen. Das hat vor allem mit drei zentralen Kritikpunkten zu tun – aus denen laboraffine Stadtmacher für die Zukunft lernen können:
Erstens mögen Realexperimente zwar zum Repertoire der Planungspraxis gehören – aber welchen Nutzen sie bringen, ist im Grunde kaum belegt. Das konstatiert zum Beispiel die Geografin
Charlotte Räuchle von der
Freien Universität Berlin. Um herauszufinden, ob die Labore als innovatives Instrument für Stadtplanung taugen,
forschte sie selbst 2018 beim „KoopLab“ in Hannover: Damals wurden beispielsweise ein mobiler Bauwagen aufgestellt, ein Balkonkonzert gegeben und eine „Lange Tafel“ im Stadtteilpark abgehalten – alles mit dem Ziel, den sozialen Zusammenhalt in dem benachteiligten Quartier zu stärken.
Räuchles Fazit: Ja, Reallabore können die herkömmliche Stadtplanung im Idealfall ergänzen – indem sie etwa „Akteure zusammenführen, die bisher wenig Kontakt miteinander hatten, oder flexible Formate der Zusammenarbeit einrichten, wozu die Stadtplanung im Rahmen ihrer formalen Planungsverfahren nicht zwangsläufig in der Lage ist“.
Auch würden durch sie Wahrnehmungen von Stadt sichtbar, die sonst verborgen blieben; etwa, was sonst wenig gehörte Gruppen wie Kinder, Senioren oder Migranten sich von ihrem Quartier erhoffen.
Das große Aber: Ob dieses Wissen dann auch genutzt wird, entscheiden die herrschende Planungskultur und konkrete Planungsvorhaben. Und da gibt es Hürden: vom Mangel an Zeit, Geld und Ressourcen über bestehende Vorgaben wie Flächennutzungspläne oder Eigentumsverhältnisse, die sich nicht mal eben über den Haufen werfen lassen, bis hin zum Zuständigkeits- und Kooperationschaos zwischen den Ämtern. Kurzum: Ob die Vision des Reallabors nach Ende des Experiments tatsächlich Realität wird, bleibt äußerst fraglich.
Zu einem ähnlich Schluss kommen
Jens Libbe vom
Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin und
Oskar Marg vom
Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Beide haben die „Leitinitiative Zukunftsstadt“ wissenschaftlich begleitet und in einem
Übersichtsartikel ihre Erfahrungen, auch für die urbane Praxis, aufgeschrieben. Ihr Resümee:
Nichts genaues weiß man nicht – die vorliegenden Daten seien noch zu dünn, um etwas über eine etwaige und ganz besondere Wirkung von Reallaboren sagen zu können.