Wenn es um den Wohnraummangel in Städten geht, kann man sich darauf verlassen, dass irgendwann das Wort „Nachverdichtung“ fällt – und in sehr vielen Fällen damit eigentlich „Aufstockung“ gemeint ist. Gerade in Deutschland, so das Narrativ, sei man viel zu zögerlich, wenn es darum gehe, in die Höhe zu bauen. Stadtplaner träumen von grünen Wohntürmen, Traufhöhendebatten werden als provinziell belächelt. Nach oben hin ist doch noch so viel Platz!
Man kann das aus mindestens drei Gründen skeptisch sehen. Erstens, weil höhere Gebäude – ob neu gebaut oder aufgestockt – natürlich die Umwelt verändern: Lichteinfall und Luftzirkulation, aber auch architektonische Proportionen oder Sichtachsen. Das hat Folgen für Quartiere; nicht unbedingt gute. Zweitens bedeuten mehr Stockwerke auch mehr Menschen in demselben Raum – die sich dort die vorhandenen, oft schon strapazierten Parks, Parkplätze, öffentlichen Verkehrsmittel und sonstigen Infrastrukturen teilen müssen.
Drittens sollte man aber auch im Blick haben, dass in die Höhe bauen eben nicht einfach nur Wohnraum schafft, sondern mitunter große Begehrlichkeiten weckt. Das kann die soziale Struktur von Quartieren verändern und so urbane Verdrängungsprozesse anheizen – gerade auch in bereits gentrifizierten Gebieten. Zu diesem Schluss kommt
John Lauermann, Geograf an der
City University of New York, in einer
jüngst veröffentlichen Studie. Denn in beliebten Mittelschichtsvierteln stehen mehr Stockwerke eben oftmals für neue Luxusappartments.
Um herauszufinden, wie sich solch eine vertikale Entwicklung auf die Quartiere auswirkt, nahm Lauermann eine dreidimensionale Auswertung von 943 Wohnprojekten vor, die zwischen 2000 und 2020 zu einem Preis von mehr als zwei Millionen US-Dollar pro Einheit abgeschlossen worden waren. Anhand städtischer Datensätze erfasste er die physischen Veränderungen der gebauten Umwelt, insbesondere die Grundfläche, die Anzahl der Stockwerke und die Geschossflächenzahl – und glich diese mit Zensusdaten der Areale ab.
Wenig überraschend: Im Schnitt waren die entstandenen Luxushäuser – dabei wurde der Bestand einfach abgerissen und neu gebaut – um 6,8 Stockwerke höher als die vorherige Bebauung; auch das Gebäudevolumen hatte sich mehr als verdoppelt. Damit nahmen die Bauten auch deutlich mehr Höhe und Volumen ein als die benachbarten Strukturen. Vor allem aber, so schreibt Lauermann, führe diese Vertikalität zur Abschaffung erschwinglicher Wohnungen und zu einer „Verdrängung der Mittelschicht durch Elitekapital“ – kurz: zu einer „Supergentrifizierung“ in Quartieren, die schon frühere Gentrifizierungswellen erlebt haben.
„Es zeigen sich ausgeprägte Verdrängungsmuster. Die vertikale Entwicklung steht in signifikantem Zusammenhang mit einem Rückgang der Zahl schwarzer Einwohner, einem Anstieg der Zahl weißer Einwohner und einem Rückgang der Zahl der Mieter. Dies deckt sich weitgehend mit neueren Forschungsergebnissen, die darauf hindeuten, dass Mittelschichthaushalte – insbesondere farbige Mittelschichthaushalte – anfällig für Verdrängung in supergentrifizierten Vierteln sind.“
Man mag nun einwenden, dass New York nicht mit europäischen Städten vergleichbar und zudem in deutschen Citys eher aufgestockt denn abgerissen und neu gebaut wird. Dennoch gilt dort wie hier: Per „Air Mining“, wie Lauermann es nennt, lässt sich noch mehr Kapital auf bereits bebautem Boden erzielen. Und Penthäuser erfreuen sich überall großer Beliebtheit:
„Ein Luxus-Hochhaus in New York unterscheidet sich in puncto Design, Ausstattung und Verwaltung nicht wesentlich von Luxus-Hochhäusern in anderen Weltstädten. Diese Homogenität ist wichtig, wenn es sich bei der Hauptklientel um transnational mobile Eliten handelt, die Wohnungen eher als Investitionsobjekte oder Zweitwohnsitze nutzen denn als Hauptwohnsitz.“
Insofern lassen sich aus der New Yorker Studie für Deutschland zwar keine direkten Schlüsse ableiten. Aber vielleicht kann sie Stadtmachern ja als Anstoß dienen, um vertikale Entwicklung nicht einfach nur als Allheilmittel gegen Platzmangel und Wohnungsnot anzusehen, sondern auch darüber nachzudenken, welche Art von Wohnraum dabei eigentlich entsteht – und für wen. cél