In der Wissenschaft der Urbanistik ist man mit neu und frisch klingenden Slogans schnell bei der Hand. Ein solcher Slogan ist momentan die „Post-Corona City“. Diverse Events und Podiumsdebatten werden so betitelt, man könnte meinen, es handele sich dabei um ein regelrechtes neues Forschungsgebiet.
Das tut es natürlich nicht. Klar ist aber: Die Pandemie hat Folgen für unsere Städte – oder verstärkt Veränderungen, die sich schon zuvor abgezeichnet hatten. Es ist insofern ein dankenswertes Unterfangen, wenn sich die einschlägige Publizistik die verschiedenen Coronisierungen unserer Städte gesammelt vornimmt und aufdröselt, welche Veränderungen nun konkret anstehen, welche bleiben – und welche für die Gesellschaft gut ist oder schlecht. Genau das haben die Architekturjournalistinnen
Doris Kleilein und
Friederike Meyer getan. „Die Stadt nach Corona“ heißt ihr
lesenswertes Kompendium aus eigenen Beiträgen und Gastartikeln. Das Buch entwickelt ein Verständnis von
Stadt heute in all ihrer Fragilität: Gezeichnet vom Trend zum Homeoffice, partiell geleert durch den merkantilen Kahlschlag des Online-Shoppings, aber vielleicht auch erneuert durch ein sinnvoll erweitertes Krankenhausmanagement und durch neue Ansätze gemeinschaftlichen Wohnens in Metropolen wie in Klein- und Mittelstädten.
Der aus meiner Sicht überraschendste Teil des Buches beleuchtet ein Thema, das vor Corona intensiv diskutiert wurde, im urbanen Diskurs momentan aber etwas unterbeleuchtet bleibt: die grundlegende Veränderung des Tourismus – durch Corona, aber auch durch ein generelles Umdenken der Menschen in Bezug auf das Reisen. Auch hier scheint die Pandemie als ein Durchlauferhitzer ohnehin bestehender Entwicklungen zu fungieren. Und der große Trend ist, dass sich sowohl auf Seiten der Destinationen als auch bei den Reisenden eine gewisse Ambivalenz breit macht.
Die klassischen Touri-Städte hadern schon länger mit ihrer Abhängigkeit von den reisenden Massen. Venedigs Kampf gegen die Riesenkreuzer ist ja nur die Spitze des tourismuskritischen, äh, Eisbergs. Die Stadt hat inzwischen sogar eine Art
Touristen-Kontrollraum eingerichtet. Immer mehr Städte denken – wie Venedig oder Florenz – über eine Form städtischen Eintrittsgeldes nach. In Berlin gehört das Gejammer über die schröcklichen Touris, die die Straßen Mittes bevölkern, ohnehin zum guten Ton. (Gerade jene, die selber neu in der Stadt sind, dokumentieren damit gern ihren Metropolistenstatus.)
Durch Corona ist aber auch die problematische Routine des Mal-eben-Wegfahrens auf Seiten der Reisenden ins Blickfeld gerückt. Wer heute einen rein privaten Kurztrip unternimmt, steht sozial in einer gewissen Erklärungsnot. Und er/sie spürt auch das Bedürfnis, sich zu erklären, ein genussneutrales Narrativ für die eigene Reise zu entwickeln – oder zumindest eine möglichst wenig schlechte CO2-Reisebilanz vorlegen zu können. Das ist eine grundlegende Veränderung im Tourismussystem: Das Reisen, der Genusstrip in andere Städte hat seine Unschuld, seine Selbstverständlichkeit verloren. Reisen könnte damit seine Rolle als inhärentes Element des modernen Lebens verlieren, zu etwas Exotischem werden, zur jeweils individuell zu begründenden Ausnahme.
Tritt diese Veränderung ein, haben manche Städte ein strategisches Problem. Entweder sie arbeiten an Programmen, die das Reisen mit eine Art gesellschaftlichem Mehrwert versehen. Oder sie entwickeln andere urbane Ökonomie-Modelle, die eben ohne die vielen Touris funktionieren, die unsere Städte momentan noch bevölkern. Letzteres ist langwierig. Insofern dürfte der Weg zum Reisen mit Mehrwert Erfolg versprechender sein.
Wie auch immer es weiter geht – Stand heute muss man ein gewisses Unbehagen beim Thema Städtereisen konstatieren. Genau dies greifen auch die Arbeiten des Architektur- und Künstlerkollektivs
„Non Voyage“ auf, die im Buch von Doris Kleiklein und Friederike Meyer in einer neunseitigen Bilderstrecke präsentiert werden. Das Dilemma des Reisenden wird schon in obiger Grafik pointiert und mit Bezug zum italienischen Chaos-Kapitän
Schettino aufgespiest. Und wer den Comic unten liest, versteht, dass in der Tat unsere touristisch unterwanderten
Metropolen wegen Identitätskrise in die Therapie gehören. Und zwar nicht nur Rom oder Venedig, sondern auch München, Erfurt oder Salzburg.
guz