Ein Essay von Ron Reck, Assoziierter Partner, AS+P Albert Speer + Partner GmbH
Erstmals in der Menschheitsgeschichte leben mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Metropolen sind essenzieller Bestandteil moderner Gesellschaften und generieren schon heute 80 Prozent des wirtschaftlichen Wachstums. Und Metropolen werden weiterwachsen. Der Zuzug an Menschen erhöht den Druck auf Städte und Umland zu stärkerer Verdichtung.
Doch verdichtete Lebensräume schaffen neue, sehr komplexe Probleme. Die Bedeutung monofunktionaler Nutzungsstrukturen wie dem großflächigen Einzelhandel nimmt ab. Wohnen als Teil eines vitalen vielfältigen Stadtlebens tritt stärker in den Fokus, dessen Qualität oft durch Lärm, Luftverschmutzung und beengte Verhältnisse beeinträchtigt wird. Durch die Auswirkungen der Pandemie wird die Bedeutung des öffentlichen Freiraums besonders sichtbar, gerade bei tendenziell stärker beengten Wohnverhältnissen.
Städte können langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie für ihre Bürger gute Lebensverhältnisse schaffen. Die moderne Stadtplanung steht daher in der Pflicht, für diese Herausforderung die richtigen Antworten zu finden.
Mobilität ist hierbei ein Schlüsselelement. Sie ist ein urmenschliches Bedürfnis und entscheidend für das Funktionieren einer Stadt, aber auch ein wesentlicher Teil des Problems. Die starke Ausrichtung auf das Automobil in der Vergangenheit hat dazu geführt, dass große Teile der verfügbaren öffentlichen Flächen heute für Verkehr und Parken vereinnahmt werden. Mit Blick auf den nach wie vor eher niedrigen Besetzungsgrad eines Pkw von ca. 1,2 Personen und der Tatsache, dass Autos etwa 95 Prozent ihrer Zeit geparkt verbringen und daher eigentlich „Stehzeuge“ heißen müssten, ist dies eine denkbar ineffiziente Nutzung einer knappen Ressource. Neben den offensichtlichen Auswirkungen wie Lärm, Schadstoffen und Sicherheitsempfinden ist dies ein wesentlicher Grund für den Mangel an für jedermann nutzbarem öffentlichem Raum.
Weltweit vollzieht sich aktuell daher ein Paradigmenwechsel. Die Ansprüche an den Straßenraum haben sich verändert und sind vielschichtiger geworden. Die Bedürfnisse der Anwohner nach mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer, mehr Sicherheit, mehr Aufenthaltsflächen und mehr Platz für Natur – gerade auch mit Blick auf Klima- und Pandemieresilienz – treten in den Vordergrund. Die sogenannten „Superilles“, verkehrsberuhigte Superblöcke, in Barcelona sind hierfür ein gutes Beispiel (siehe hierzu auch
metroscope 10). Eine Reduzierung des klassischen Pkw-Verkehrs beziehungsweise eine Verlagerung auf alternative Verkehrsmittel ist hierfür grundsätzlich notwendig.
Ein gesunder Nutzungsmix, der es ermöglicht, viele Wege fußläufig vor Ort zu erledigen, ist essenziell für erfolgreiche Verkehrsvermeidung – Stichwort Nahmobilität.
Insbesondere entlang leistungsfähiger ÖV-Linien sind „traditionelle“ Instrumente zur Verlagerung der Verkehrsnachfrage auf den ÖV erfolgreich, zum Beispiel durch eine Verknappung des Parkraumes, sei es über Gebühren oder über Anwohnerparkzonen, aber natürlich auch über eine Attraktivierung des ÖV-Angebots.
Diese Mobilitätswende wurde in den letzten Jahren jedoch um weitere Elemente bereichert, zum einen durch verschiedene Sharing-Angebote, zum anderen durch die Versprechen der autonomen Mobilität.
Neben dem schon länger etablierten Carsharing unterscheidet man vor allem Ridesharing und Ridepooling. Beim Ridesharing handelt es sich im Wesentlichen um einen Taxidienst, der durch die Nutzung einer App bequemer ist und durch eine AI-optimierte Distribution effizienter. Ähnlich hierzu ist Ridepooling, allerdings mit größeren Fahrzeugen, in denen mehrere Fahrten gleichzeitig gebündelt werden. Beide bauen im Wesentlichen darauf, in Zukunft durch autonom fahrende Fahrzeuge kostengünstig flexible Mobilität anbieten zu können. Wie stark dieses Versprechen wirkt, sieht man auch an der enormen Marktkapitalisierung der prominentesten Anbieter.
Autonomes Fahren wird in Deutschland hauptsächlich von großen Autoherstellern vorangetrieben. Aktuell sind Fahrzeuge mit Autonomielevel 3 erhältlich. Aber erst ab dem höchsten Level 5 ist ein vollständig fahrerloses Fahrzeug möglich, wie es für die erwähnten autonomen Ridesharing/ Ridepooling-Angebote notwendig wäre. Die Frage ist scheinbar nicht ob, sondern wann komplett fahrerlose Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs sein werden. Das wäre dann jedoch tatsächlich ein echter „Game Changer“. Warum?
Zum einen wird der Zugang zu individueller Mobilität erheblich vereinfacht: Menschen ohne Fahrerlaubnis oder -tauglichkeit hätten plötzlich Zugang zu einem „Auto“. Wichtiger ist jedoch, dass das Parken nun nicht mehr zwingend am Zielort stattfinden muss. Fahrzeuge könnten selbstständig zu abgelegeneren Standorten fahren. Parkplätze für privat genutzte Fahrzeuge im direkten städtischen Umfeld wären nicht länger notwendig. Die Parkflächen stünden somit für die eingangs erwähnte Neuverteilung des öffentlichen Raumes zur Verfügung.
Aber hier liegt auch ein Risikofaktor. Jede Leerfahrt, zum Beispiel vom Parkplatz zum Abholort, ist natürlich eine zusätzliche Fahrt mit wiederum negativen Auswirkungen.
Der bestimmende Faktor hierbei ist die unregulierte Nutzung privater autonomer Fahrzeuge. Modellrechnungen an den Beispielen Lissabon und Bremen deuten in diesem Fall auf eine mögliche Verdopplung des Verkehrs hin. Bei einem höheren Anteil von Sharing-Angeboten sinkt der Mehrverkehr durch Leerfahrten jedoch erheblich. Positive Effekte sind also vor allem durch eine Reduzierung von Fahrzeugen im Privatbesitz zu erwarten und die damit verbundene sinkende Parkplatznachfrage.
Durch Ridepooling können sowohl die Anzahl an Fahrzeugen, tatsächlichen Fahrten und vor allem an Parkplätzen – bei gleicher Verkehrsleistung – erheblich reduziert werden. Vor allem in Ergänzung zu leistungsfähigen ÖV-Angeboten zeigen sich hier die besten Potentiale.
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Autonome Mobilität wird ein wichtiger Faktor in der Mobilitätswende sein. Wesentlich ist hierbei dann jedoch die sinnvolle Integration von Sharing-Angeboten. Diese sind am effektivsten in jenen Bereichen, in denen der klassische Pkw aktuell stark ist, vor allem wenn sie einen Verzicht auf den eigenen Pkw ermöglichen.
Für die Stadt- und Mobilitätsplanung lassen sich die folgenden Thesen festhalten:
1. Parkplätze werden auf lange Sicht an Bedeutung einbüßen. Klassisches Parkraummanagement wird über kurz oder lang seine Wirksamkeit zur Steuerung des Verkehrs in Städten verlieren. Neue regulatorische Instrumente werden dann dringend gebraucht, wie zum Beispiel dynamisches Road Pricing.
2. Mobilitätshubs an leistungsfähigen ÖV-Linien zur nahtlosen Integration von Sharing-Angeboten sind ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Mobilitätswende.
3. Verkehrsvermeidung durch einen gesunden Nutzungsmix vor Ort, ein leistungsfähiger ÖV, eine Neuverteilung des Straßenraumes und die Stärkung des Radverkehrs bleiben wichtige Elemente zur Verbesserung der Lebensqualität in Städten, trotz – oder auch wegen – der autonomen Mobilität.
Weitere Literatur zum Thema:
Urbane Mobilität und autonomes Fahren im Jahr 2035; Deloitte; 09/2019
Automatic for the City; Riccardo Bobisse and Andrea Pavia; RIBA Publishing 2019