Die Europäische Kommission hat in dieser Woche ein Regelwerk auf den Weg gebracht, das in den kommenden Jahren und Jahrzehnten praktisch
den gesamten Gebäudesektor in Europa umkrempeln wird. Am Mittwoch wurde in Brüssel eine neue Richtlinie vorgestellt (
hier geht es zur zusammenfassenden Pressemitteilung), die zum Ziel hat, die CO2-Emissionen von Gebäuden – Wohnen und Gewerbe – zu senken. Brüssel gibt darin ungefähre Sanierungsschritte vor sowie einen zeitlichen Rahmen. Die Mitgliedstaaten müssen das noch in nationales Recht umsetzen. Es ist absehbar: Kein Stein bleibt auf dem anderen.
Die EU-Kommission, und das ist einer der Hauptkritikpunkte von Immobilienwirtschaft und Architekten, orientiert sich fast ausschließlich an der Energieeffizienz des einzelnen Gebäudes. Insbesondere in nördlichen Breitengraden könnte das zu einer beispiellosen Materialschlacht führen, so die Befürchtung. Wo bisher zwölf Zentimeter Dämmschicht aufliegen, müssen es künftig 20 Zentimeter sein. Wo die Heizungsanlage auf einem Verbrenner basiert, muss entweder Fernwärme gelegt oder eine Wärmepumpe eingebaut werden – inklusive Komplettaustausch der dazugehörigen Hydraulik. Dass dabei viel graue Energie verbraucht wird, spielt in dem Entwurf keine Rolle. Der CO2-Ausstoß wird am Schornstein gemessen, nicht in der Gesamtbilanz. Allein in Deutschland dürfte jedes Jahr ein zweistelliger Milliardenbetrag an Investitionen nötig sein.
- Die 15 Prozent des Gebäudebestands mit der schlechtesten Energieeffizienz sollen bis 2027 bei Nichtwohngebäuden und bis 2030 bei Wohngebäuden von Klasse G auf mindestens Klasse F verbessert werden. Das betrifft in Deutschland schätzungsweise drei Millionen Häuser.
- Ab Januar 2030 sollen alle neu gebauten Gebäude in der EU emissionsfrei sein (bereits ab 2027 gilt das für Neubauten der öffentlichen Hand). Emissionsfrei heißt in diesem Fall: ein Gebäude mit sehr hoher Energieeffizienz, dessen geringer verbliebener Energiebedarf mit Strom aus erneuerbaren Quellen gedeckt wird, der im oder am Gebäude selbst erzeugt wird. Auch im Winter, versteht sich.
- Bis zum Jahr 2035 müssen alle Gebäude in der EU energetische Mindeststandards erfüllen. Die Staaten dürfen dabei zwar frei entscheiden, welchen Mindeststandard sie vorschreiben, die Werte sollten aber immer berücksichtigen, dass EU-weit der gesamte Gebäudebestand bis 2050 keine Treibhausgase mehr verursachen darf.
- Ein Gebäude-Energieausweis soll künftig auch bei jeder Mietvertrags-Verlängerung und bei jeder Sanierung vorgelegt werden. Entscheidend soll nicht mehr der Primärenergiebedarf sein, sondern die CO2-Emissionswerte eines Gebäudes. Zusätzlich schlägt die Kommission einen Renovierungs-Pass vor. Denn sollen Energieexperten für jedes Gebäude ausstellen, inklusive Sanierungsfahrplan bis 2050.
Die Nutzung fossiler Energieträger in Gebäuden neigt sich dem Ende entgegen. Das Hauptproblem insbesondere in den verdichteten Wohnsiedlungen unserer Städte ist jedoch: Sie sind nicht auf eine mit Strom (aus erneuerbaren Energien) betriebene Niedrigtemperatur-Technik ausgelegt. Einfach nur eine Wärmepumpe in den Hinterhof stellen, wird nicht reichen. Riesige Wasserspeicher müssen in die Keller gesetzt, die gesamten Hauptleitungen ausgetauscht, sämtliche Radiatoren durch Großflächen-Wärmekörper ersetzt werden.
Dieses Interview mit einem Wärmepumpen-Experten lässt erahnen, was für ein gewaltiger Aufwand da entsteht. Bisher ging man noch von einem einstelligen Milliarden-Investitionsaufwand für Deutschland aus.
Das wird sich als deutlich untertrieben herausstellen.
Doch selbst wenn man alles Geld der Welt bekäme – die Kapazitäten im Bauhandwerk werden weiterhin ein Flaschenhals sein. Zunehmend müssen die Heizungsinstallateure hochsensible Wärmeanlagen konfigurieren, hydraulisch abgleichen, Verbrauchswerte optimieren. Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA schätzt, dass für eine Verdoppelung der Sanierungsrate von ein auf zwei Prozent in Deutschland rund 350.000 Fachkräfte fehlen.
Wer im kleinen Eigenheim lebt, kann das alles vielleicht noch selbst organisieren und finanzieren. In den Städten stellt sich jedoch die Frage nach der Lastenverteilung zwischen Vermietern und Mietern. Hier hat der Berliner Mieterverein am Freitag schon einmal seine Vorstellungen formuliert:
“Die Umlagemöglichkeit von Modernisierungskosten auf die Miete muss aktuell auf energetische und klimaschützende Maßnahmen begrenzt werden und darf 1,- €/qm im Monat nicht überschreiten.” (Mitteilung des Mietereins vom 17.12.)
Wer schon einmal saniert hat, weiß, dass dass man mit 100 Euro auf 100 Quadratmeter pro Monat und somit 1200 Euro im Jahr nicht weit kommt. Das weiß auch der Mieterverein und schlägt vor: “Differenzen zur Wirtschaftlichkeit müssen über verstärkte öffentliche Fördermittel kompensiert werden.” Der Staat soll also den Rest zahlen.
Die Studie “Klimapfade 2.0” vom BDI beziffert die notwendigen Mehrinvestitionen bis 2030 für den deutschen Gebäudesektor alleine auf 175 Milliarden Euro, wobei die Ampel-Koalition beschlossen hat, das Ziel eigentlich früher zu erreichen als der Rest Europas. Es wird bei der Utopie bleiben.
„Eine bedingungslose Pflicht zur Erreichung bestimmter Effizienzstandards mit Bestrafung bei Nichterreichung läuft auf einen enteignungsgleichen Eingriff hinaus, wenn sie bei der Umsetzung im Gebäude auf eine faktische Unmöglichkeit trifft“
Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW
Die fast schon religiöse Fixierung auf die Effizienz jedes einzelnen Gebäudes wird nicht nur zu einer finanziell unlösbaren Aufgabe. Auch technologisch dürfte sich in einigen Jahren herausstellen, dass sie nicht funktionieren wird, jedenfalls nicht als alleiniges Mittel. Alternative Wärmenetze und nachhaltige Wärmeerzeugung in Wohnquartieren werden nötig sein. Dass das in Brüssel unterschlagen wird, könnte damit zusammenhängen, dass die Staaten in Südeuropa damit kein Problem haben (Winter: warm, Sommer: heiß), dass Frankreich Millionen von Stromheizungen mit Strom aus Kernkraft betreiben kann (der demnächst als “grün” klassifiziert werden wird) und dass die Nordeuropäer sich nicht trauten, etwas gegen die Systematik der Effizienz-Offensive einzuwenden.
Eine Alternative wäre eine sanfte Sanierung der Gebäude, bei parallelem Aufbau grüner Gasnetze für die Wärmeversorgung. Gut möglich, dass man in einigen Jahren merkt, dass man hier etwas verpasst hat. fab