Dies sind schlechte Zeiten für Städte. Und damit auch für uns, für metroscope. Wir befassen uns in unserem kleinen Newsletter ja mit dem Zukunftspotenzial urbaner Räume, mit der Frage, wie wir unsere Metropolen und damit unser aller Leben besser machen. Mit Putins Feldzug gegen die Ukraine erscheint diese Suche fast unnötig. Schließlich ist die große Frage momentan ja doch eher, wie viel schlechter unsere Welt in den kommenden Wochen und Monaten werden wird.
Trotzdem hat Putins Krieg eine urbanistische Komponente. Er ist nicht nur unmenschlich. Er ist auch unurban. Wie eigentlich jeder Krieg. Städte gehören immer zu den Verlierern kriegerischer Auseinandersetzungen. Sie sind als erste im Fadenkreuz. Weil dort die Symbole funktionierender Kulturen stehen, gegen die sich Kriegstreiber häufig wenden. Und weil sie Zentren der Information, Kultur, der Logistik und natürlich auch der ausgeübten Macht sind, auf die es Aggressoren jeweils abgesehen haben.
Und so blicken wir seit Tagen mit Grausen nach Mariupol und Cherson – und mit Bangen nach Kiew, dieser tapferen 2,9-Millionen-Menschen-Metropole unter Beschuss. Und erwarten furchtsam ihre Einnahme.
Die aber gestaltet sich offenbar schwierig – schwieriger als von Putin erwartet.
Die Stadt entwickelt viel Resilienz, sie ist widerständig. Einen schönen Eindruck von dieser zutiefst menschlichen Resilienz liefert das
Tagebuch der Autorin
Yevgenia Belorusets. Die Stadt
mobilisiert den Stolz, aber natürlich auch den Kampfgeist ihrer Bewohner. Stadtpatrioten wenden sich in Kiew gegen die einfallenden Russen. Noch zumindest.
Was aber will Putin eigentlich mit Kiew? Geht es ihm um die
Einnahme der Hauptstadt? Der momentan viel zitierte Sicherheitsexperte Carlo Massala
glaubt: Wirklich erobern will Putin Kiew gar nicht.
„Die Stadt hat mehr als zwei Millionen Einwohner, da müsste er schon sehr viele Truppen hineinschicken. Das würde auf einen Häuserkampf hinauslaufen. Nein, das russische Ziel besteht auf der einen Seite darin, die Regierung von Wolodymyr Selenskyj zu Fall zu bringen. Auf der anderen Seite will die russische Armee die militärischen Strukturen der Ukrainer in der Hauptstadt zerstören. Damit die ukrainische Armee nicht mehr koordiniert vorgehen kann.“
Ob Einnahme oder Zerstörung von außen – es geht also um die Hauptstadt als Schaltzentrum der Macht. Doch es geht auch um den Kulturraum Kiew. Die Ukrainer sind stolz auf ihre Hauptstadt. Sie repräsentiert das Aufblühen der Demokratie, das die Menschen in den vergangenen Jahren erfahren haben. Sie schafft Identifikation und Identität. Und sie ist damit der Gegenbeweis der abstrusen These Putins, die Ukraine habe keine eigene Identität und gehöre letztlich zu Russland.
Diese Resilienz produzierende Kraft von Städten beschreiben auch Mary Kaldor und Saskia Sassen in ihrem
Buch „Cities at War“. Das Buch versammelt
Case Studies sehr unterschiedlicher kriegsgeschädigter Städte. In ihrem Vorwort schreiben die Herausgeberinnen:
„Urban Spaces possess the capacity to make new subjects and identities that would not be possible in, for example, rural areas or a country as a whole. A city’s sociality can bring out and underline the urbanity of subject and setting and dilute more essentialist signifyers.”
Das heißt: die komplexen Codes unserer Metropolen unterminieren die lächerlichen Simplizismen, auf denen Kriegsrhetorik meist basiert – auch die von Putin. Kriege brauchen als Rechtfertigung einfache nationale Stereotypen. Das Zusammenleben ukrainischer, russischer und internationaler junger Menschen auf den Straßen Kiews (oder Moskaus) widerspricht dem. Daher richtet sich auch Putins Krieg gegen Kiew als Stadt – und gegen das Prinzip urbaner Vielfalt und Toleranz insgesamt. guz