Diese Begegnungen hat sie nun auch anhand eines anderen Beispiels erläutert, das erst einmal weit weg von der Altenpflege wirkt: dem Hack des Seitensprungportals „Ashley Madison“ 2015, bei dem Nutzerdaten von mehr als 30 Millionen Accounts veröffentlicht wurden.
Es stellte sich heraus, dass das Unternehmen im großen Stile Profile von Frauen anlegte, die es nur virtuell gab. Diese erfundenen Akteure schrieben als Frauen mit Männern Nachrichten hin und her, die auf der Suche nach einer Affäre waren. Der wirtschaftliche Clou dabei: Antworten durften die Männer nur, wenn sie zahlen. Zehntausende dieser Bots soll es
laut Gizmondo gegeben haben, 80 Prozent der erstmaligen Käufe auf Kontakte zu Bots zurückgehen.
Das Ziel der Software von Ashley Madison war es, eine soziale Bindung aufzubauen. Und das ist wohl oft genug gelungen. Harrison beschäftigt sich
in ihrem Aufsatz mit der Frage, was das für Intitmität bedeutet. Dieser Intimität, die wir als persönliche, individuelle Erfahrung sehen, beschreiben mit Worten wie echt, authentisch, privat, ja menschlich. Software ist also in der Lage automatisiert Intimität zu generieren – und diese entsteht ja nur, weil ein Mensch ein Erlebnis so empfindet.
Was macht das mit uns?
„Was ist, wenn diese Bots die Leute wirklich heiß machen? Was würde das darüber aussagen, wie wir Intimität heute verstehen? Wie könnten Bots ohne Loyalität zu den menschlichen Vorstellungen von Intimität unsere Vorstellungen davon, was Intimität sein/machen sollte, durcheinanderbringen oder in Frage stellen?“
Harrison sieht zwei Aspekte, mit denen wir uns befassen sollten:
- Wir sollten überdenken, wo die Grenze zwischen Mensch und Maschine verläuft, im Sinne von: Was können Maschinen wie gut?
- Wir sollten ggf. anpassen, wie wir Intimität charakterisieren.
Für Harrison ähnelt die Diskussion über Intimität einer Neuauflage der Online-Offline-Debatte, die in den letzten Jahren etwas ruhiger wurde: Wie echt ist das Online-Life im Vergleich zum Real-Life?
„Die Existenz der sozialen Bots spielt mit einer ewigen Angst, die mit dem Leben im Internet verbunden ist; Online-Interaktionen lösen Ängste um Authentizität und Identität aus, weil unsere Methoden zur Berechnung der Authentizität einer Entität erbärmlich altmodisch und fleischbasiert bleiben. Wenn du das andere Wesen nicht sehen, hören, riechen, berühren oder schmecken kannst, wie kannst du dann sicher sein, dass sie das sind, was sie sagen?“
Harrison beschreibt das als
„ambient intimacy“, ein Begriff, der auch verwendet wird, um zu beschreiben, wie eine gewisse Intimität mit Personen entstehen kann, deren Lieblingstasse man kennt, obwohl man sich Tausende Kilometer entfernt befindet oder nur in der Arbeit sieht. Dank Instagram o.ä.
Zum Nachdenken über automatisierte Intimität passt gut der
Zündfunk Generator Podcast “Muss ich nett zu einer KI sein?”. Darin blieb der Journalist Gregor Schmalzried ein Wochenende lang zu Hause und sprach mit niemanden – außer Bots wie Alexa, Siri oder Mitsuku, dem angeblich besten Chatbot der Welt.