Die neue Gesetztheit entspricht Bidens eher uncharismatischer Natur, doch sie hat auch System. Biden lullt die politische Öffentlichkeit auch bewusst ein. Er macht die Langeweile zu seiner mächtigsten Strategie. Der Gedanke dahinter: Die Nation will etwas Ruhe. Und wer nicht ständig laut trommelt, kann umso leichter Großes erreichen. Und das will Biden ohne jeden Zweifel. Ich will Ihnen das an einem Beispiel erklären.
In Trumps Washington gab es einen “running gag” unter den Journalisten. Er war ziemlich kurz und ging so: “Es ist Infrastruktur-Woche.” Der Hintergrund: Trump wollte von Anfang an ein großes Infrastruktur-Paket verabschieden. Das war eines der wenigen Felder, auf dem es Gemeinsamkeiten mit den Demokraten gab und damit die Aussicht auf einen großen Wurf.
Doch jedes Mal, wenn seine Regierung eine Infrastruktur-Woche ankündigte, also große Gespräche über ein Gesetz, brachten die Tweets und Launen des Präsidenten alles durcheinander. Als sie im Mai 2019 einmal wieder ausgerufen wurde und Trump mit den Chefs der Demokraten zusammensaß, um das Thema endlich zu besprechen, war auch ich im Weißen Haus. Er brach das Treffen aber nach drei Minuten ab, weil er sauer war auf Nancy Pelosi. Trump trommelte uns prompt zu einer spontanen Pressekonferenz im Rosengarten zusammen, wo er seinem Groll freien Lauf lief. Wieder mal großer Zirkus, aber keine Ergebnisse: Es sollte bis zum Ende seiner Präsidentschaft kein Infrastrukturpaket geben.
Biden hingegen hat schon jetzt ein riesiges Paket vorgelegt und damit für ein kurzzeitiges Revival der Infrastruktur-Woche-Witze gesorgt. In der liberalen Hauptstadt ist Trump in diesen Tagen nur noch eine Witzvorlage. Biden will damit nicht nur Brücken und Straßen, sondern auch Schienen-, Strom- und Datennetze ausbauen, die Energiewende einleiten, Klimakrise bekämpfen, die Pflege verbessern und und und.
Es ist eines von nun drei großen Paketen, mit den Biden Amerika umkrempeln und Gelder umverteilen will. Die Reichen (ab 400.000 Dollar Jahreseinkommen) und Firmen sollen Programme wie Elternzeit, Gratis-Kitas, und subventionierte Kinderbetreuung bezahlen. Es sind Vorhaben, die in deutschen Ohren ziemlich normal klingen, aber in einem großen Teil Amerikas eher als linksradikale Gängelung gesehen werden.
Ob er es wirklich durchbekommt: unklar. Viele der Maßnahmen sind beliebt, Bidens Mehrheit im Kongress ist aber hauchdünn und zerbrechlich. Und seine Zustimmungswerte liegen trotz aller Fortschritte nur knapp über 50 Prozent. Auch ein neuer Präsident kann eben die Gräben, die die Nation durchziehen, nicht einfach zuschütten.
Auf Fox News und Co. wird Biden als Linksradikaler oder fremdgesteuerter Vaterlandsverräter dargestellt. Thema der Woche war dort die völlig gegenstandslose Geschichte, Biden wolle den Fleischkonsum rationieren. Bei den Republikanern glaubt eine Mehrheit weiterhin Trumps Märchen von der gestohlenen Wahl. Während ich Ihnen schreibe, zählen sie gar in Arizona zur Sicherheit die Wählerstimmen vom November noch einmal aus.
Die Fox-Wahlklau-Fleischverschwörungs-Gemeinschaft wird Biden nie für sich gewinnen. Braucht er aber auch nicht. Es reicht, wenn er jene an seiner Seite hält, die in der politischen Mitte stehen und vor allem wollen, dass der Staat funktioniert und sich um reale Probleme kümmert. Nach 100 Tagen hat er sie noch.