Schön wäre es und wirklich hilfreich für alle betroffenen Kinder, wenn Segen auf dem neuen Verfahren läge, wenn die Verwaltung bis zum Ende gedacht hätte, wenn genug Plätze für alle da wären, dort wo sie nachgefragt sind und gebraucht werden, wenn Transparenz herrschte über die freien Kapazitäten der Schulen, wenn überhaupt… Lassen wir das, denn alle diese Annahmen stehen im Konjunktiv, wir aber haben uns mit der Welt der Wirklichkeit zu befassen, nicht mit der der Möglichkeiten. Und die Realität sieht leider trüb aus.
Denn das, was die Stadt in den kommenden Wochen vorhat, kann nur mit extrem großem Losglück für die Verwaltung irgendwie gelingen. Das wird schon mit Blick auf den Zeitplan klar, der gar keine Chance lässt, ein mehrstufiges Clearing zwischen den diversen Lostöpfen zu veranstalten. Denn Eltern werden sich mit recht hoher Wahrscheinlichkeit deutlich mehr als einmal für oder gegen einen angebotenen Platz entscheiden müssen.
Warum das so ist, zeigt ein Blick auf die Fakten. Zunächst zum Schulplatzangebot: Es gibt in Köln 33 städtische Gymnasien mit insgesamt 125 Klassen. Macht beim sogenannten Klassenfrequenzrichtwert von 27 Kindern je Klasse 3375 Schulplätze. Dazu kommen noch etwa 400 Plätze in nicht-städtischen Gymnasien, das sind vor allem die konfessionellen und privaten Schulen. Macht in Summe etwa 3800 reguläre Plätze. Nach Schätzungen der Stadt werden aber 4100 bis 4150 Kinder einen Gymnasialplatz brauchen. Um die Lücke zu schließen, werden wie seit vielen Jahren die Klassen bis aufs absolute Maximum von 30 oder 31 Kindern vergrößert werden.
Außerdem geht die Stadt davon aus, dass fünf sogenannte Mehrklassen nötig werden, also fünf Schulen ausnahmsweise eine zusätzliche Klasse eröffnen müssen. Wobei auch diese Ausnahme seit vielen Jahren zu Regel gehört. Im vergangenen Jahr hat die Stadt sogar neun Mehrklassen schaffen müssen, um alle Kinder versorgen zu können.
Ein bisschen Wahrscheinlichkeitsrechnung (muss sein)
Kurzum: Die Stadt muss im Frühling 4150 Kinder auf 130 Klassen verteilen. Wenn man davon ausgeht, dass Eltern für ihre Kinder im Schnitt fünf Gymnasien identifizieren, die grundsätzlich infrage kommen, und dass sie ihre Kinder, um alle Chancen zu wahren, an all diesen Schulen anmelden, dann sind die Schulen im Schnitt fünffach überbucht. Eine Schule mit 120 Plätzen bekommt also womöglich 600 Bewerbungen. Davon ab gehen Bewerbungen von Geschwisterkindern, die in der Regel bevorzugt aufgenommen werden. Teilweise ist damit über ein Drittel der Plätze gar nicht mehr in der Verlosung. Um im Beispiel zu bleiben: Die Schule mit 120 Plätzen hat dann zum Beispiel nur 80 Plätze frei für 560 Bewerbungen. Diese werden dann in getrennten Töpfen einmal für Mädchen und einmal für Jungen verlost. Mit anderen Worten: Die Schule ist 7-fach überbucht. Sechs von sieben (geschwisterlosen) Kindern hätten jetzt im ersten Anlauf keine Chance.
Selbst fünf Bewerbungen bieten keinesfalls eine Garantie auf einen Platz in der ersten Runde. Wer es genauer rechnen will: Die Wahrscheinlichkeit, in einem Losverfahren einer wie oben angenommen überbuchten Schule zu den 6 Abgelehnten pro 7 Bewerber:innen zu gehören, liegt bei 85,7 Prozent (p=6/7). Stellen Sie sich einfach vor, Sie müssten mit einem siebenseitigen Würfel eine bestimmte Zahl würfeln.
Bei zwei Lostöpfen, die unabhängig voneinander funktionieren, ist es wie mit zwei Würfelwürfen nacheinander. Die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer steigt zwar, aber Fehlwürfe, sprich zwei Ablehnungen, sind immer noch deutlich häufiger. Mathematisch berechnet sich die Wahrscheinlichkeit fürs Scheitern bei diesem Gedankenexperiment als Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten (p=6/7 * 6/7) und liegt nun immer noch bei 73,5 Prozent. Selbst mit der Teilnahme an fünf Verlosungen, also fünf Würfelwürfen hintereinander, liegt das Risiko für fünf Absagen immer noch bei 46,3 Prozent. Rein statistisch geht also unter den genannten Annahmen fast jedes zweite Kind in der ersten Runde leer aus.
Die anderen Eltern bekommen teils mehrere Zusagen, können und müssen also auswählen. Und dann? Müssen die Schulen ihre Listen durchgehen auf Nachrücker:innen - dann wiederum muss die Stadt sehen, ob die Nachrückenden schon versorgt sind. Wenn nicht, gehen wieder Briefe raus an die Eltern. Erneut werden manche nun mehrere Angebote zur Wahl haben, andere weiter warten müssen. Und wieder. Und wieder. Und wieder. So lange, bis eine Schule nach der anderen alle Plätze voll oder seine Anmeldeliste leer hat.
Der erste Haken daran: Die Stadt hat für dieses überaus wahrscheinliche Szenario gar keine Zeit eingeplant.
Der zweite Haken: Die Stadt sagt zwar, dass man aus dem Verfahren ausscheidet, sobald man einen Platz angenommen hat. Aber für das vorgezogene Verfahren an den beiden neuen Gymnasien gilt dies schon mal nicht. Und ob es in anderen Fällen überhaupt zulässig ist, Eltern einfach so aus den anderen Töpfen zu entfernen, ist fraglich. Zumal das Schulgesetz auch gar keine verbindlichen Anmelde- und Annahmefristen für Schulplätze kennt.
Noch schlimmer aber als diese formellen Überlegungen: Eltern und Kinder bringt das alles keinen Schritt weiter bei der Wahlentscheidung für (oder gegen) eine Schule. Im Gegenteil: Schulwahlkriterien wie räumliche Nähe oder Freundschaften finden keine Beachtung, pädagogische Konzepte, Sprachschwerpunkte, Sport- oder Musikförderung, mit denen sich Gymnasien profilieren, verwässern, weil in den Megalosverfahren irgendwelche Kinder an irgendwelchen Schulen landen, schlicht aus der Not der Eltern heraus, die möglichst viele Anmeldungen abgeben müssen, um überhaupt ihre Chancen auf eine einigermaßen wunschgemäße Zusage zu wahren. Man zwingt die Eltern zu einem Verhalten, das viele gar nicht wollen, und organisiert die Schulplatzvergabe mit dem Mittel der Verlosung und ohne ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Hier noch ein paar Gedankenanstöße, die zeigen, was da auf uns zurollen kann:
- Eltern sollten ihre Kinder im Sinne der Chancenmaximierung (= Lose in möglichst vielen Töpfen) bei allen Schulen anmelden, die für sie überhaupt zur Wahl stehen. Das Verfahren verunmöglicht ausgerechnet die Priorisierung, die die Eltern und Kinder sehr wohl haben. Es wird in der Regel einige wenige Top-Wunschorte geben, einige Kandidaten zweiter Wahl, gegebenenfalls auch noch Kompromisse, falls alle anderen durchfallen.
Spielen wir mal durch, wie das im Ergebnis laufen könnte:
- Familie A bekommt bei sechs Bewerbungen im ersten Schritt einen Platz angeboten, der nicht in der Top-Liste steht. Sie zögern: Annehmen? Oder spekulieren, ob man einen Nachrücker-Platz bekommen kann in einer der favorisierten Schulen? Erst mal also Anrufe bei allen fünf anderen Schulen und den Rang der Verlosung erfragen.
- Familie B hat mehr Glück und gleich drei Plätze zur Wahl. Die Wunschschule ist dabei, aber leider hat kein einziger Schulkamerad eine Zusage, war ja auch statistisch nicht sehr wahrscheinlich, bei über 800 Bewerbungen. Das Kind zögert? Lieber die Top-Schule sausen lasen und den sicheren Rang 2 nehmen, weil der beste Freund dort auch angenommen wurde?
- Familie C ist leer ausgegangen. Sie fragt bei allen Schulen nach dem Rang, denn die Hängepartie ist schwer erträglich, wenn man nicht weiß, ob vielleicht doch noch eine Chance durch Nachrücken besteht.
- Familie A weiß inzwischen: In der Lieblingsschule ist man auf Nachrückerplatz 5. Einen dieser Plätze besitzt aktuell Familie B. Die Eltern kennen sich, denn die Kinder gehen in dieselbe Klasse. In der weiterführenden Schule trennen sich die Wege nun wohl: Nur wenn Familie B den Platz nicht annimmt, kann Familie A nachrücken. So zerstückelt das Verfahren die freundschaftlichen Beziehungen von Grundschulkindern.
- Familie D bekommt einen Anruf. Am Gymnasium Zusestraße ist noch ein Platz freigeworden. Hatte man nicht mehr auf dem Schirm, aber ein dort angemeldetes Kind hat im Hauptverfahren dann doch lieber einen anderen Platz angenommen.
- Derweil rufen in den Schulen Tag für Tag 40 bis 50 Eltern an und wollen die Ränge ihrer Kinder in den Loslisten erfahren. Denn die Stadt hatte beschlossen, diese nicht direkt mitzuteilen, das könnten die Schulen nicht leisten. Nun also Telefonauskunft. Kein Durchkommen.
Und jetzt?
- Die Stadt hat den Eltern bis zum 23. März Gelegenheit gegeben, ihre ersten Wahlentscheidungen zu treffen. Von den Kindern haben 800 besonders Losglück gehabt und gleich mehrere Plätze zur Wahl. Dagegen hatten 1800 Kinder im ersten Schritt gar kein Glück. Die nicht angenommenen Restplätze der vielen Hundert Glückspilze müssen nun innerhalb einer Woche über die Loslisten der einzelnen Schulen verteilt und wiederum Eltern angeboten werden - bis wann und wie? Offen. Die Zeit drängt: Bereits am 31. März soll eine zweite Anmelderunde starten, um Restplätze von Schulen, deren Listen komplett abgearbeitet sind, an die Kinder zu verteilen, die anderswo nicht zum Zug gekommen sind.
Wie das alles funktionieren soll, weiß kein Mensch.