Letzte Woche habe ich sehr viel über die Corona-App gesprochen. Zum einen im Gespräch bei der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Christoph Giesa, zum anderen mit Konstantin Kuhle MdB bei Instagram Live und so beim telefonieren und Spazieren gehen mit Freund:innen. Auch mit LOAD haben wir Anforderungen an eine App veröffentlicht, unter deren Bedingungen wir die in Ordnung finden würden. Dahinter stehe ich auch und doch habe ich einige andere Kritikpunkte an einer App, bzw. digitalen Lösung gegen Corona. Wobei ich diese Kritikpunkte hauptsächlich habe, weil ich der Meinung bin, das vor dem Entwickeln eines technologischen Hilfsmittels gegen Corona noch einige Fragen mehr gestellt und andere vorab beantwortet werden müssen, bevor wir etwas entwickeln sollten, denn nur so kann eine digitale Lösung wirklichen Mehrwert haben, nur so entstehen nicht sehenden Auges noch mehr Probleme und nur so können wir ordentliche Erwartungen kommunizieren. Das heißt: Mir sind die Diskussionen um Datenschutz und IT-Sicherheit bei einer digitalen Lösung eindeutig zu wenig. Ich versuche das mal aufzuschlüsseln und hier schonmal Danke an alle, die Ihre Gedanken mit mir geteilt haben.
- Haben wir vorab die richtigen Fragen gestellt? Wir sprechen davon, dass wir mit Daten gegen Corona vorgehen können. Aber Mit Daten gegen Corona – das funktioniert ja aktuell nicht mal mit Medikamenten. Also was können wir tun? Wir können mit Daten beispielsweise schauen, ob sie Menschen ans Social Distancing halten und möglichst viel zuhause bleiben. Wir können aber auch versuchen Kontakte nachzuvollziehen oder mit Daten erheben, wer sich wann in einem Gebiet aufgehalten hat, in dem viele Infizierte sind. Alles legitime Fragen, für alles braucht man vornehmlich andere Daten. Dass deren Sammlung datenschutzrechtlich gut und auch sicher erfolgen kann, unterstelle ich jetzt mal, wissend, dass es auch da heftige und berechtigte Diskussionen gibt. Man könnte natürlich auch die Fragestellungen kombinieren. Dafür muss man aber vorher festlegen, was man erreichen möchte und für wen. Den einzelnen Bürger? Für Forscherinnen? Für die Regierung? 47% der Deutschen seien bereit eine “Corona-App” zu installieren. Aber wurden die auch gefragt für welchen Zweck? “Gegen Corona” wäre ja ein bisschen leicht um die Bereitschaft, Daten zu geben, zu bewerten. Also: Was wollen wir für eine Fragestellung lösen, bzw. für welche Fragestellung wären die meisten Deutschen (oder Europäer:innen) bereit, Daten zu geben?
- Gerade in aller Munde ist die Technologie, nicht die App, des Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing (PEPP-PT), ein Zusammenschluss aus mehreren europäischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Die haben jetzt angenommen, wir wollen verfolgen können, wer wann mit wem Kontakt hatte. Das alles anonym und sicher. OK! Klingt erstmal gut, hört sich im Großen und Ganzen auch ganz gut an. Die zugehörige App soll das Robert-Koch-Institut entwickeln, denn wie gesagt, die machen nur die Technologie dahinter und erproben gerade mit der Bundeswehr die Algorithmen, die mit Hilfe der Bluetooth-Technologie ermitteln können sollen, wie nah und wie lange man in der Nähe einer Person war, sodass eine Infizierung mit Corona möglich wäre. Auch OK. Aber: sie sagen selber, dass 60% der Deutschen diese App installiert haben müsste, damit sie gut funktioniert, also die Wahrscheinlichkeit auch hoch ist, dass sie vielen Leuten was bringt, also darüber informiert, dass jemand infiziert ist. Nun haben gerade mal 79% der Deutschen ein Smartphone, d.h. hier wird es schon knapp. Gerade mal WhatsApp reicht etwas an die notwendige Verbreitung heran, die wir für die Corona-App bräuchten, damit sie gut funktioniert. Wenn wir jetzt annähmen, dass sich die Bereitwilligkeit von 47% der Deutschen auf genau diese Art der App bezieht, sehen wir schon, dass selbst das nicht ausreicht. Und dann kennen wir das ja alle: Was wir eigentlich tun würden, aber dann schlussendlich wirklich tun, sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Man könnte die Technologie, die sie dort entwickeln aber auch einfach in andere Apps integrieren. Zum Beispiel WhatsApp. Dann hätte man die beim nächsten Update drauf und müsste bestätigen, dass WhatsApp auf Bluetooth zugreifen darf und man müsste einwilligen, dass man dieses Tracing mit machen möchte. Ginge rechtlich, aber dann müsste WhatsApp mit machen und die Leute müssten ja sagen und wenn das 100% täten, kämen wir wohl am nächsten an die 60%. Dann sagt z.B. Henning Tilmann, dass das eigentlich ins Betriebssystem direkt rein muss, diese Technologie, weil es sonst gar nicht richtig funktioniert. Dafür müssten sich Apple und Google bereit erklären, das zu machen. Das wäre dann aber ein datenschutzrechtliches Problem und auch nicht so leicht zu lösen. Und dann kommt noch das Problem des Akku-Verbrauchs hinzu: Ständig Bluetooth an – das wird ordentlich ziehen. Aber wir wollen und sollen ja eigentlich größtmöglich zu Hause bleiben, hätten also immer ne Steckdose da.
- Womit wir bei der nächsten Frage wären: Wenn wir eigentlich soziale Kontakte meiden sollten (und das werden wir auch mit einer technologischen Lösung müssen, denn das Virus verbreitet sich nunmal von Mensch zu Mensch, das verhindert auch keine App, sondern nur Abstand), dann werden unsere Kontakte weiterhin rar sein. Insbesondere die zu fremden Menschen und nochmal mehr die intensiven Kontakte zu fremden Menschen, bei dem das Virus überspringen kann, bzw. bei dem die Technologie dann sagen wird: ja, die zwei standen jetzt zeitlich lange genug, also mehrere Minuten und ausreichend nah beieinander, wir tauschen jetzt mal die Codes per Bluetooth aus, um uns gegenseitig zu informieren, sollte einer erkrankt sein. Die meisten Kontakte, die unter diese Kriterien fallen, sollten zwischen Menschen erfolgen, die wir kennen. Also welche, die wir im Falle einer Infektion auch anrufen könnten (gar müssten, denn das ist ja jetzt auch schon der Fall), um sie über unsere Infektion zu informieren. Wo ist also der Mehrwert der App?
- Damit einen kleinen Einschub zur Erwartungshaltung. Was erwarten wir eigentlich von solch einer App bzw. Technologie gegen Corona. Ich glaube (ich weiß es aber auch nicht), die meisten denken, dass danach alles wieder normal werden kann. Oder zumindest das Meiste. Das ist aber stark zu bezweifeln, denn das Virus verbreitet sich weiterhin. Was nicht heißt, dass Lockerungen bzgl. Betriebs- und Schulöffnungen nicht möglich gemacht werden können – das entscheiden zum Glück andere – aber es heißt mit Sicherheit nicht, dass wir auf den Abstand, Händewaschen, Mundschutz etc. so schnell verzichten werden können. Schaue ich bspw. in die FAZ habe ich den Eindruck, dass die Menschen denken, durch eine App allein könnten die Restriktionen gelockert werden. Das glaube ich definitiv nicht. Wohl aber, dass sie helfen können, eine zweite Welle flach zu halten, bzw. besser und schneller zu bewältigen. Das heißt aber – Erwartungsmanagement – sie bringt jetzt noch nicht viel, kann aber für die Zukunft sehr viel bringen. Sagen übrigens auch die Entwickler:innen, dass das Tracking erst für die nächste Welle wirklich was bringt.
- Falsche Sicherheit: Wenn ich nun die App habe und sie nutze, denke ich natürlich, dass sie mich informieren wird, sobald ich mit jemandem in Kontakt war, der mit Corona infiziert ist. Meldet sie sich nicht, gibt es auch keine Gefahr für mich, oder? Was aber, wenn ich mit jemandem lange in Kontakt war, der Corona hat, aber keine App? Oder vom Gesundheitsamt den Code bekommen hat, um zu aktivieren, dass er oder sie infiziert ist, um die Meldung an die Kontaktpersonen weiter zu geben nicht eingeben will? Denn auch das ist freiwillig. Ich habe durch den Kontakt das Virus, keine Symptome und wiege mich fälschlicherweise in Sicherheit. Oder denke, mein Husten ist nur eine Erkältung und bewege mich weiter draußen rum, weil ist ja “nur” Husten? In Österreich haben sich bisher gerade mal 100.000 Leute die dortige Corona App runter geladen. Bei etwas über 8 Millionen Einwohnern. Die 60% zu erreichen erscheint mir sehr utopisch.
- Was sagt mir dann überhaupt die App? Ann Cathrin, begib dich bitte in Selbstisolation? Wer überprüft das? Ist die App dann doch nicht anonym? Wenn sie mir zum dritten Mal sagt, dass ich mich in Isolation begeben soll und ich nie Symptome hatte, mache ich das das vierte Mal? Habe ich nach einer Meldung der App Anspruch auf einen Test? Bezahlt die Krankenkasse meinen Lohnausfall, wenn ich gefährdet bin laut App und wieder mal zwei Wochen in Isolation muss? Wollen wir Menschen per Push-Mitteilung, neben neuen Eilmeldungen und WhatsApp-Nachrichten darüber informieren, dass sie Corona haben könnten? Was macht das mit Menschen? Welche Informationen übermitteln wir ihnen noch? Haben wir abgeklärt, wie z.B. Alleinerziehende versorgt werden mit Kinderbetreuung etc. wenn sie sich womöglich infiziert haben (Spoiler, das hat bisher nur Bremen geregelt)? Haben wir genügend Test-Kapazitäten für all die Tests auf die die Menschen dann bei so einer Meldung meiner Meinung nach Anspruch haben sollten? Wir sollten die Kapazitäten laut einem BMI-Strategiepapier auf 200.000 pro Tag ausbauen, aktuell sind wir bei 100.000. Das heißt nicht, dass die App hier nicht helfen könnte, besser mit möglichen Infektionen umzugehen. Aber sie kann eben nur was bringen, wenn wir alles drum herum mit bedenken und eben auch ausbauen. Sonst hilft die App nicht viel.
Zum Abschluss gerne nochmal: Ich bin nicht gegen eine App. Ich halte es nur für gut, dass man sich vorab Gedanken macht, was man eigentlich will, dass man ordentliches Erwartungsmanagement macht und dass man nicht vergisst, dass es auch ein funktionierendes Drumherum, angefangen bei Test-Kapazitäten geben muss, denn sonst bringt das alles nichts. Meine Bedenken wurden zwar schon als “typisch deutsch” abgetan, aber ich glaube, wir haben langfristig mehr Erfolg, wenn wir einen Moment inne halten und uns genau überlegen, was wir wollen und wie wir das in einem Gesamtkonzept umsetzen können. Denn nur eine App funktioniert eben einfach nicht. Zumal wir mit solch einem großflächigen Tracking von Gesundheitsdaten auch ein neues Terrain betreten, das vielen grundsätzlich verändern wird. Ich hoffe zum Guten, aber dafür muss das eben wohl überlegt geschehen. Professor Kräuselich aus Heidelberg wird übrigens mit folgenden Worten in der New York Times zitiert: “Maybe our biggest strength in Germany, is the rational decision-making at the highest level of government combined with the trust the government enjoys in the population.”
Lesenswert zum Tham auch noch der baden-württembergische Landesbeauftragte für Datenschutz, Dr. Stefan Brink, zur Freiwilligkeit. Letzte Woche schrieb ich schon einiges zum Thema, unter anderem auch über die Datenweitergabe von Gesundheitsämtern an die Polizei. Das geht weiterhin nicht, passierte aber auch in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Wie Menschen so Vertrauen haben sollen, dass ihre Daten wirklich anonym sind und bleiben, ist mir schleierhaft. Hier wird versucht mit Daten, die ohne Rechtsgrundlage weitergegeben wurden, versucht, zu verhindern, dass sich Polizist:innen anstecken. Dafür hätten sie aber eigentlich Schutzkleidung haben müssen. Dass die nicht vorliegen, bzw. jetzt so teuer sind, ist übrigens Staats- und nicht Marktversagen. Laut eigenen Pandemieplänen hätten die da sein müssen, wurden aber nie auf Vorrat eingekauft. Wer doch noch was zu Datenschutz und Corona-App lesen möchte, der oder die findet hier was. Aber auch über diesen Vorschlag kloppt sich das #TeamDatenschutz auf Twitter.
Patrick Beuth hat hier nochmal erklärt, was eigentlich die Unterschiede zwischen Mobilfunk-, GPS, Bluetooth- und WLAN-Daten sind:
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