Herr Möller, die Norm-Erweiterung zur Nachhaltigkeitspräferenz soll laut Pressemitteilung „Verbrauchern Schutz vor manipulativer Abfrage gewähren“. Was ist damit gemeint?
Dr. Klaus Möller: Naja, stellen Sie sich vor, ich möchte Ihnen ein ESG-Produkt verkaufen. Das Gespräch leite ich ein mit den Worten: „Wie ich Sie kenne, legen Sie großen Wert auf Klimaschutz und Nachhaltigkeit – richtig?“ Eine solche Suggestivfrage ist manipulativ, weil die wenigsten ihr widersprechen werden. Wie die Präferenzabfrage korrekt ablaufen soll, wird dem Leitfaden aus dem DIN-Modul zu entnehmen sein.
Das Modul für Nachhaltigkeitspräferenzen ist angedockt an die bestehende Norm für die Finanzanalyse für Privathaushalte und nicht an die gesonderte Norm, die es für Privatanleger gibt. Warum?
Weil das Thema weit über die Geldanlage hinausgeht. In der Finanzanalyse geht es darum, Risiken und Notwendigkeiten aus dem Privatleben der Menschen zu identifizieren, um ihren Bedarf nach Finanz- und Versicherungsprodukten zu ermitteln. Welche Nachhaltigkeitspräferenzen jemand hat, welches Mindset zum Thema ESG – das gehört auch in die ganzheitliche Analyse. Es wird wahrscheinlich nicht lange dauern, bis Kunden genau diese Erwartung an ihren Vermittler stellen: „Das sind meine ESG-Präferenzen, bitte wählen Sie auch für meine neue Haftpflichtversicherung einen Anbieter aus, der meine Wünsche bestmöglich bedient.“ Zum Beispiel ein Bankberater wird das Modul aber auch aus der Gesamtanalyse herauslösen und isoliert verwenden können.
Sie haben die Normung der Präferenzabfrage der DIN-Norm für die Etikettierung von nachhaltigen Produkten zeitlich vorgezogen. Wäre es nicht logischer gewesen, zuerst die Etiketten zu klären? Denn wenn ein Kunde seinem Vermittler nun in der Abfrage sagt: „Mein Verständnis von ESG schließt Atomkraft aus“ – dann weiß der Vermittler ja immer noch nicht, zu welchen Produkten er ihm nun raten kann.
Sie haben grundsätzlich Recht: Es wäre vorteilhaft, wenn wir bereits eine klare Produktetikettierung hätten. Hier gibt es allerdings einige Herausforderungen dadurch, dass längst nicht alle Regularien geklärt sind. Wir müssen natürlich trotzdem vermeiden, dass Kunden Präferenzen formulieren, für die es am Ende gar kein Produkt gibt. Das muss bei der Erarbeitung der Abfragelogik berücksichtigt werden. Mit der DWS und Amundi sind auch namhafte Produzenten in unserem Gremium vertreten, die darauf ein Auge haben. Laut Offenlegungsverordnung müssen die Berater ab dem 2. August Nachhaltigkeits-Präferenzen bei ihren Kunden abfragen. Deshalb eilt dieses Thema und musste in der Normungsarbeit den Vorrang bekommen.
Also ist zuerst der Abfrage-Standard dran. Gab es dafür eine große Nachfrage von Vermittlerseite?
Absolut. Die Unsicherheit ist groß, die Vermittlerverbände sind daher ebenfalls an der Normbildung beteiligt. Eine klare Lösung, wie Präferenzen abgefragt werden, wünschen sich alle. Auch um Haftungsfallen auszuschließen. Eine Norm ist zwar nicht verpflichtend – aber sie schafft denen, die sich an sie halten, Sicherheit. Wird ein Vermittler wegen Fehlberatung verklagt, werden Gerichte auch prüfen, ob er sich an der Norm orientiert hat. Wenn ja, hilft das auf jeden Fall. Die Norm sollte zudem auch möglichst einfach zu handhaben sein. Denn bei aller Wichtigkeit von ESG: Berater haben auch noch andere Themen.